Freitag, 8. Oktober 2021
ESC 2022 - ESC 1972
2022 soll der ESC zum dritten Mal in Italien stattfinden; nach Neapel 1965 und Rom-Cinecittà 1991 ist Turin als Austragungsort geplant, als Datum werden der 10.5., 12.5. und 14.5.22 genannt - sofern nicht wieder Corona oder andere unvorhergesehene Ereignisse dem Wettbewerb wieder einen Strich durch die Rechnung machen.

Ich denke, es ist wieder Zeit für einen Rückblick auf die Situation vor 50 Jahren. Damals machten Vicky Leandros und ihr Team dem Deutschen Fernsehen ein Angebot: Sie seien bereit, das Land mit "Dann kamst du" zu vertreten, allerdings nur, wenn sie sich keiner Vorentscheidung stellen müssen. Eben diese war aber schon in Planung, und so sagte die ARD dankend ab - auf Vicky kommen wir später zurück.

Die Vorentscheidung fand in Berlin statt und war erstmals eine Koproduktion des Hessischen Rundfunks mit dem Sender Freies Berlin und hatte dementsprechend auch zwei Moderatorinnen. Zwölf Lieder stellten sich in einer ersten Runde der zehnköpfigen Jury, die drei Lieder mit den meisten Stimmen qualifizierten sich für eine Finalrunde, in der sie nochmals bewertet wurden. Wegen einer Punktgleichkeit waren dort vier Lieder zu hören.

Zu den Interpretinnen und Interpreten, die bereits in der ersten Runde ausschieden, gehörten Marion Maerz, Olivia Molina, Edina Pop und Peter Horton, der 1967 bereits Österreich vertreten hatte. Im Finale siegte dann Mary Roos; ihr Lied "Nur die Liebe lässt uns leben" hatte nur einen Punkt Vorsprung vor "Geh die Straße", gesungen von Cindy&Bert und "Glaub an dich selbst", interpretiert von Su Kramer. Auf Platz vier landeten Inga&Wolf mit "Gute Nacht Freunde". Auch ein Blick auf die Autoren lohnt sich: Klaus Doldinger schrieb Marion Maerz' Lied, für Inga&Wolf war Reinhard Mey (zunächst unter Pseudonym) der Texter und Komponist, und erstmals war auch Ralph Siegel vertreten, sogar mit zwei Beiträgen.

Die Vorentscheidung war schon vor dem internationalen Wettbewerb ein großer Erfolg, da nicht nur Mary Roos, sondern auch Cindy&Bert und Inga&Wolf kommerziell erfolgreich waren.







Ob die Textzeile "Was ich noch zu sagen hätte dauert eine Zigarette" wohl heute noch so geschrieben würde?

Der internationale ESC fand am 25. März 1972 statt; Monaco, das im Vorjahr gewonnen hatte, verzichtete auf die Ausrichtung, so dass wieder einmal das Vereinigte Königreich einsprang; Austragungsort war Edinburgh.

Exakt die gleichen Länder wie 1971 waren am Start; auffällig war, dass sich sechs von ihnen, also ein Drittel, entschieden, ein Duo zu entsenden; drei davon belegten allerdings die letzten drei Plätze, und nur eines erreichte die ersten 10 - dieses war allerdings auch nach dem ESC kommerziell in einigen Ländern erfolgreich: Sandra&Andres belegten für die Niederlande mit "Als het om de liefte gaat" Platz 4, international sangen sie das Lied auf Englisch ("What do I do?"), auch die deutsche Version "Was soll ich tun?" wurde ein kleiner Hit.



Österreich erinnerte mit "Falter im Wind", interpretiert von den Milestones, an die Folkmusik der späten 1960er Jahre und schnitt mit Platz 5 unerwartet gut ab.



Deutschland belegte zum dritten Mal hintereinander Platz 3, woran sicher auch der Dirigent und Arrangeur Paul Kuhn einen Anteil hatte. Die vor dem ESC international bekanntesten Sänger kamen wieder einmal aus dem Vereinigten Königreich: Die New Seekers belegten mit "Beg, steal or borrow" Platz 2.



Und Vicky Leandros? Nach der Absage durch das deutsche Fernsehen fragte sie in Luxemburg nach; sie hatte das Land schon 1967 vertreten. Dort bekam sie eine Zusage, das Lied erhielt einen französischen Text, und "Après toi" gewann den ESC.



Muss sich das deutsche Fernsehen wegen des verpassten Sieges ärgern? Ich denke nein; einerseits ist nicht sicher, ob den Jurys der deutsche Text genauso gut gefallen hätte wie der französische, andererseits war die Vorentscheidung auch in kommerzieller Hinsicht ein so großer Erfolg, dass die ARD damit viele Pluspunkte sammeln konnte - insgesamt also meiner Meinung nach eine Win-Win-Situation. Und einen deutschen Sieg gab es ja auch, denn der Komponist des Siegertitels, Klaus Munro, war schließlich Deutscher.

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