Freitag, 6. Mai 2022
Zweites Halbfinale 2022
1. Finnland
The Rasmus "Jezebel"

The Rasmus hatten 2003 mit "In the shadow" einen internationalen Hit, danach wurde es außerhalb Finnlands ruhiger um sie. Jetzt melden sie sich in ähnlichem Stil zurück, eingängiger Rock, wie er schon vor Jahrzehnten gehört wurde - ich denke, diese Musik ist zeitlos und wird nach wie vor ihre Anhänger haben. Und vielleicht ist die Fangemeinde der Gruppe auch nach fast zwei Jahrzehnten noch groß genug. Wissen diese womöglich auch, ob der Regenmantel eine tiefere Bewandtnis hat?



2. Israel
Michael Ben David "I.M"

Michael präsentiert eine perfekte Choreographie und einen selbstbewussten Text. Auf mich wirkt der Beitrag etwas zu glatt, aber vermutlich ist genau das die Absicht. Ich möchte etwas später im Zusammenhang mit dem rumänischen Beitrag einen Vergleich anstellen.



3. Serbien
Konstrakta "In corpore sano"

Serbien bringt in diesem Jahr einen der ungewöhnlichsten Beiträge. Repetitive, oft eher gesprochene, musikalische Stücke werden optisch entsprechend untermalt, und der Text erweckt, obwohl er auf Serbisch gehalten ist, Neugier - was soll der lateinische Titel? Und was hat Meghan Markle damit zu tun? Dieser Beitrag fällt aus der Reihe, und das ist beim ESC schon mal ein Vorteil.



4. Aserbaidschan
Nadir Rustamli "Fade to black"

Wieder einmal hören wir eine vollkommen durchschnittliche Ballade, gesungen von einem durchaus talentierten Sänger, die allerdings nicht im Ohr bleibt. Zudem wirkt die gesamte Darbietung auf mich, trotz der Choreographie, zu gewöhnlich, auch, was das Bühnenkostüm angeht. Ich glaube nicht, dass sich dieses Lied von der Konkurrenz absetzen kann.



5. Georgien
Circus Mircus "Lock me in"

Da ist es - mein 'Guilty Pleasure' in diesem Jahr, Georgien kümmert sich nicht um den Geschmack der anderen Länder, sondern zieht sein Ding durch, in diesem Jahr auch unter größtmöglicher Geheimhaltung der Identität der Protagonisten - hierfür meinen größten Respekt. Allerdings bezweifle ich, dass der Beitrag sonderlich viele Anhänger finden wird. Das Bühnenbild kann man negativ als wirr oder positiv als besonders bezeichnen; in jedem Fall polarisiert dieser Beitrag, und das ist schon mal nicht das Schlechteste.



6. Malta
Emma Muscat "I am what I am"

Malta führte eine Vorentscheidung durch, aber der gewählte Beitrag kam bei den Buchmachern nicht gut an, und so entschied sich Emma, ihn gegen ein anderes Lied auszutauschen - das wiederum wenig Resonanz hervorrief. Wäre ich schadenfroh, aber das bin ich nicht, daher auch hier die Feststellung, dass es sich um ein 'Stört-nicht-beim-Bügeln-Lied' handelt, das ebenso schnell vergessen ist, wie es gehört wurde. Da helfen auch die Animationsrufe, die in diesem Jahr erstaunlich oft zu hören sind, nichts.



7. San Marino
Achille Lauro "Stripper"

Achille hat schon mehrfach am Sanremo-Festival teilgenommen, so auch in diesem Jahr, allerdings ohne durchschlagenden Erfolg. Den hatte er beim kleinen Nachbarn San Marino, und ein ganzes Heer von Autoren, dessen Anzahl nicht wesentlich unter der Einwohnerschaft des Landes liegt, schrieb ihm ein italienisches Lied mit willkürlich eingesprenkelten englischen Vokabeln, bei denen sich 'Cowboy' auf 'Sex toy' reimt. Kann man machen, muss man aber nicht.



8. Australien
Sheldon Riley "Not the same"

Ist das Kunst? Wenn ja, ist sie mir zu hoch. Sheldon ist ein Stimmakrobat, auf mich wirkt diese allerdings eher wir die Sturzgeburt bei einem Koala. Das Lied wurde offenbar darauf zugeschnitten. Und was bitte soll das Geschmeide vor dem Gesicht (im Videoausschnitt hält er es in der Hand)? Vermutlich bin ich ein Banause, aber mich erreicht das Lied überhaupt nicht.



9. Zypern
Andromache "Ela"

Immerhin präsentiert Zypern nicht einen erneuten Aufguss von "Fuego", dafür gibt es weichgespülte griechische Klänge. Bei einem Glas Retsina am Mittelmeerstrand würden sie mir vermutlich gefallen, beim ESC wirken sie auf mich allerdings zu farblos und zu austauschbar.



10. Irland
Brooke "That's rich"

Kompletter Durchschnitt, was Komposition, Text, Darbietung und Sängerin angeht - mehr möchte ich gar nicht sagen.



11. Nordmazedonien
Andrea "Circles"

Andrea stimmt einen leicht klagenden Ton an, fast scheint sie zu flehen, offenbarhofft sie auf Mitgefühl. Allerdings wiederholt sie ihre Strophen immer wieder, sodass sich ein gewisser Ermüdungseffekt breitmacht. Zudem ist die Darbietung auch optisch nicht sonderlich abwechslungsreich.



12. Estland
Stefan "Hope"

Wenn ich die Augen schließe, befinde ich mich in einem Kino der 1980er Jahre, und vor dem Hauptfilm läuft eine epische Werbung für ein Tabakprodukt. Und obwohl ich seit Jahrzehnten Nichtraucher bin, überkommt mich das Verlangen nach einer Marlboro. Wenn ich hinsehe, bin ich allerdings im Hier und Jetzt, Stefan schafft es, dem Lied einen zeitgemäßen Anstrich zu geben. Nur der Hintergrund erinnert noch an meine Fantasien. Ein gelungener Auftritt.



13. Rumänien
WRS "Llámame"

Llámame - so hieß der spanische Beitrag 1962, und er bekam keinen einzigen Punkt. WRS (sprich: Urs) möchte 60 Jahre später natürlich mehr erreichen. Der flamboyant wirkende Sänger macht sich Gedanken, was passiert, wenn seine Umwelt 'es' erfährt, und singt daher lieber in genuscheltem Englisch. Um ganz sicher zu gehen, bittet er im Refrain sein Bebébé sogar auf Spanisch, sich bei ihm zu melden. Ist bei so viel Verfolgungswahn der ESC wirklich der geeignete Platz? Ich habe schon beim israelischen Beitrag gesagt, dass ich gewisse Parallelen sehe, auch hier gibt es eine ausgefeilte Choreographie. Anders als Michael wirkt WRS allerdings nahbarer, was ihm im Zweifelsfall mehr Sympathiepunkte bringen könnte.



14. Polen
Ochman "Rivers"

Ein wirklich starker polnischer Beitrag; Ochmans gute Stimme wirkt hier nicht eingesetzt wie ein Instrument, sondern passt sich symbiotisch der guten Komposition und dem guten Text an. Damit hebt sich das Lied von den Balladen mit männlichen Interpreten positiv ab.



15. Montenegro
Vladana "Breathe"

Wieder ein eher langweiliger Beitrag, bei dem Vladanas angenehme Stimme nicht genügend auffällt, um sich hervorzuheben.



16. Belgien
Jérémie Makiese "Miss you"

Mit dieser souligen Nummer hat Belgien in diesem Jahr ein Alleinstellungsmerkmal, und Jérémie erweist sich als guter Interpret dafür. Ich denke, er wird genügend Freunde finden, sie sich für das Lied erwärmen und für ihn anrufen.



17. Schweden
Cornelia Jakobs "Hold me closer"

Ich habe meine Schwierigkeiten mit der textlichen Aussage des Liedes - verstehe ich es richtig, Cornelia wird von ihrem Partner verlassen, bettelt aber um eine letzte gemeinsame Nacht? Tritt ihm in die Eier und lass ihn ziehen, Mädel! Wie in jedem Jahr hat der schwedische Beitrag viele Anhänger, und diese dürften dafür sorgen, dass das Finale sicher ist.



18. Tschechien
We are Domi "Lights off"

Vielleicht bin ich mit meinen 57 Jahren zu alt, um beurteilen zu können, was zeitgemäß ist, aber sollte ich gefragt werden, würde ich genau dieses Lied nennen. Mir gefallen Darbietung, Komposition und Rhythmus, und ich denke, dass dieser Beitrag perfekt als Abschluss des zweiten Halbfinals ist.



Wieder tippe ich, welche zehn Beiträge das Finale schaffen, wieder in Startreihenfolge:

Finnland
Israel
Serbien
Zypern
Estland
Rumänien
Polen
Belgien
Schweden
Tschechien

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