Sonntag, 19. Mai 2019
Nach dem Finale - Teil 2
Mein allerherzlichster Glückwunsch an die Niederlande, ich freue mich sehr über den Sieg beim diesjährigen ESC, nicht nur, weil ich darauf getippt habe, sondern auch, weil ich denke, dass Hilversum (wie 1958), Amsterdam (wie 1970), Den Haag (wie 1976 und 1980) oder welche Stadt auch immer ein guter Gastgeber sein wird, zudem in einem Land, das, wie drücke ich mich vorsichtig aus, politisch weniger Angriffspunkte bietet als Israel, die Ukraine oder Aserbaidschan, um drei Austragungsländer der jüngeren Vergangenheit zu nennen.

Die Organisation klappte in Israel nach und nach besser, beim ersten Halbfinale gab es insbesondere bei der Tontechnik noch Unregelmäßigkeiten, bis zum Finale waren diese weitestgehend behoben. Da passt es gut, dass die erste Halbfinalrunde ganz offensichtlich die schwächere der beiden war, das beste Lied, das sich hier qualifizierte, landete im Finale auf Platz neun. Vier Moderatoren sind meiner Ansicht nach einfach zu viel, insbesondere Erez Tal, der mehrere Jurysprecher mit „Good Night“ begrüßte und auch in anderen Punkten von seinem Kollegen Assi Azar mehr oder sanft korrigiert wurde, war überflüssig.

Überflüssig war auch der Auftritt von Madonna, der die Show unnötig in die Länge zog und, hier kommt wieder die Tontechnik ins Spiel, stellenweise amateurhaft klang. So tat sie sich keinen Gefallen, statt der erhofften Werbung für ihr neues Album erntete sie Häme und Spott. Während der gesamten Zeit klagten übrigens viele Anwesende darüber, dass die Klimaanlagen die Temperaturen zu sehr drosselten, Berichterstatter froren, und der russische Sänger Sergey klagte bei einer Pressekonferenz über stimmliche Probleme und bat darum, es möge doch etwas wärmer sein, offenbar ohne Erfolg.

Ich weiß, dass viele Menschen mich für ignorant halten, und aus ihrer Sicht stimmt das vermutlich sogar, aber ich habe kein Verständnis dafür, dass sich Leute aus religiösen Gründen Einschränkungen auferlegen, insbesondere dann, wenn Nichtbeteiligte darunter leiden – hier geht es um den stark eingeschränkten Busverkehr am Schabat, der viele Gäste vor vermeidbare logistische Probleme stellte. Es muss doch auch in Israel genügend Nichtjuden geben, die die Arbeit übernehmen können?

Seit 2009 erfolgt die Wertung hälftig durch Jurys und die Fernsehzuschauer, mittlerweile werden beide Komponenten getrennt voneinander bekanntgegeben, und oftmals gibt es zwischen diesen beiden Komponenten erhebliche Unterschiede. So lag die tschechische Band Lake Malawi bei den Zuschauern mit nur sieben Punkten an drittletzter Stelle, belegte aber dank der Jurys insgesamt Platz 11 – andererseits landeten die Publikumssieger aus Norwegen insgesamt „nur“ auf Platz 5 (was ich sehr begrüße, aber das nur nebenbei). Immer wieder werden Stimmen laut, die beklagen, dass ihr Favorit viel besser abgeschnitten hätte, wenn bestimmte Gruppen nicht abgestimmt hätten – ich finde das müßig, die Regeln sind bekannt, wenn man sie ändern möchte, kann man dies bei den entsprechenden Gremien beantragen – spätere Beschwerden halte ich für ärgerlich.

Die Jurys retteten den deutschen Beitrag vor dem letzten Platz, dort landete das Vereinigte Königreich, wohl auch wegen stimmlicher Probleme, die Sänger Michael Rice erst während seines Vortrags in den Griff bekam. Dissonanzen werden erfahrungsgemäß immer hart bestraft, und ich möchte wetten, dass es auf den britischen Inseln viele Stimmen gibt, die das schlechte Ergebnis auf das Durcheinander beim Brexit schieben, so wie es 2003 war, als für die 0 Punkte des britischen Beitrags (der wirklich erbärmlich interpretiert wurde) die damalige Beteiligung am Irak-Krieg verantwortlich gemacht wurde. Deal with it, dear Britains, and don‘t blame others! Nebenbei ganz wertfrei: Deutschland erzielte mit Platz 24 das zweitbeste Resultat der letzten fünf Jahre.

Wie ich schon in meinem letzten Eintrag vermutete, wird über Konsequenzen gegen die isländische Delegation wegen des Zeigens der palästinensischen Flagge beraten; dieser Vorfall wiegt u.U. schwerer als das Zeigen der Flagge von Bergkarabach durch die armenische Interpretin 2016, weil es sich diesmal um eine Provokation gegen das Gastgeberland handelt, die zudem auch noch angekündigt war (siehe mein Bericht zum ersten Halbfinale).

Übrigens, für die Statistik: Nordmazedonien und San Marino belegten jeweils den besten Platz ihrer ESC-Geschichte.

A propos Geschichte – dazu gehört jetzt auch der ESC 2019, und in wenigen Tagen haben sich sicher auch die Gemüter derjenigen beruhigt, deren Favoriten weniger gut abgeschnitten haben. Und falls – ich sage falls! - irgendwelche Skandälchen oder Unregelmäßigkeiten aufgedeckt werden sollten, möchte ich alle Leute bitten, sich nicht zu echauffieren, sondern daran zu denken, dass auch der ESC nur eine Unterhaltungsshow ist.

Neben dem ESC wurden auch die Fußball-Bundesligen an diesem Wochenende beendet, mein besonderer Glückwunsch geht an den Herbstmeister HSV, dem es in beispielloser Anstrengung gelang, den Aufstieg erfolgreich zu verhindern.

Damit kann jetzt alle Aufmerksamkeit auf die Wahl zum Europaparlament gerichtet werden, die selten so wichtig war wie diesmal. Ich möchte deshalb alle Leser meiner Einträge herzlich bitten, auf jeden Fall zur Wahl zu gehen und ihre Stimme einer demokratischen Partei zu geben. Schon seit einigen Tagen ist dies auch per Briefwahl möglich, daher sage ich: „Europe – start voting now!“

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