Freitag, 28. Februar 2020
Deutschland beim ESC 2020
Normalerweise verzichte ich darauf, einzelne ESC-Lieder zu kommentieren, bevor die Bühnenproben vorbei sind, aber momentan bin ich so (positiv!) überrascht, dass ich eine Ausnahme mache.

In diesem Jahr hat Deutschland erstmals seit 2009 auf eine nationale Vorentscheidung verzichtet und sich auf zwei verschiedene Jurys verlassen - eine 100köpfige nationale und eine 20köpfige internationale. Diese trafen ihre Wahl bereits am 12.12.19, aber wie durch ein Wunder schafften es alle Beteiligten, diese bis zur offiziellen Vorstellung am 27.2.20 geheim zu halten. Die lange Wartezeit sorgte bereits für einige heftige Reaktionen; in ein paar Einspielern hielt der NDR die Spannung aufrecht. Ein paar Tage vor dem offiziellen Termin versprach Prof. Satellite aka Sky du Mont, dass man den besten deutschen ESC-Song aller Zeiten gefunden habe. Als ich das hörte, dachte ich "Klappern gehört zum Handwerk", aber ich sah dem großen Tag durchaus interessiert entgegen.



Mittlerweile wurde der Beitrag veröffentlicht, und ich muss zugeben, dass der Professor nicht zu viel versprochen hat. Erstmals in diesem Jahrtausend gefällt mir ein deutscher Beitrag wirklich gut. Bisher sind 16 internationale Lieder bekannt, und von diesen ist Deutschland mit Abstand meine Nummer eins - Daumen hoch, lieber NDR, alles richtig gemacht.

Natürlich kommt es für den ESC darauf an, wie das Lied optisch umgesetzt wird, derzeit ist es auch noch zu lang, es muss also etwas anders arrangiert werden, um den Spielregeln zu entsprechen.

Ich fühle mich in meiner Auffassung gestärkt, dass es kein Vorteil ist, die breite Masse, also die Fernsehzuschauer, entscheiden zu lassen, weil den meisten von ihnen die Kompetenz fehlt - ich wage zu behaupten, dass der diesjährige deutsche Beitrag eine Publikumsabstimmung nicht überstanden hätte, und das wäre sehr, sehr schade gewesen.

Der Beitrag selbst ist eine internationale Produktion; der Sänger Ben Dolic ist Slowene, lebte einige Zeit in der Schweiz, bevor er nach Berlin zog. Er nahm in mehreren Ländern an verschiedenen Casting-Shows teil, darunter auch als Teil einer Band an der slowenischen ESC-Vorentscheidung 2016. Zu den Autoren gehört der Bulgare Borislav Milano, der mit mehreren Beiträgen beim internationalen ESC schon sehr erfolgreich war. Dies ist das Ergebnis:



Für meine Einschätzung beim ESC ist der allererste Eindruck wichtig - holt mich das Lied sofort ab? Das ist wichtig, weil die meisten Zuschauer den Beitrag zum ersten Mal hören. Und genau das unterscheidet den Wettbewerb von kommerzieller Radio-Musik, die man sich auch mit der Zeit "schön hören" kann. Und in diesem Fall war ich sofort wie elektrisiert. Offenbar trifft das auch auf die Verantwortlichen bei den Radiosendern zu, ich habe das Lied schon mehrmals bei NDR 2 gehört, andere Menschen aus anderen Teilen Deutschlands berichten ähnliches.

Übrigens ist Ben nicht der erste Slowene, der Deutschland beim ESC vertritt; Daniel Kovac wurde im slowenischen Črna na Koroškem geboren und sang 1990 im Duett mit Chris Kempers das Lied "Frei zu leben"; damals war Slowenien allerdings noch Teil Jugoslawiens.

Ich warte die noch ausstehenden internationalen Beiträge und natürlich auch die Einzelproben in Rotterdam ab, aber selten war ich bezüglich eines deutschen ESC-Liedes im Vorfeld so optimistisch wie in diesem Jahr. Von Herzen alles Gute, Ben!

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