Samstag, 15. Mai 2021
2021: Finalisten
Wie in jedem Jahr sind der Gastgeber und die fünf größten Beitragszahler, die 'Big 5', fest für das Finale gesetzt, müssen sich also nicht erst dafür qualifizieren. Die Startnummer des Gastgebers wurde ausgelost, die anderen Teilnehmer erfahren erst nach Abschluss der Halbfinalrunden, wann genau sie ihre Beiträge vortragen dürfen.

23. Niederlande: Jeangu Macrooy "Birth of a new age"

Wie schon beim Lied aus Tschechien verstehe ich auch beim niederländischen Beitrag nicht, warum er in den Umfragen so schlecht abschneidet. Ich höre ein schönes Lied, das von Gospel und von karibischen Klängen beeinflusst ist, ich mag Jeangus warme Stimme und freue mich, mit Sranantongo, das in Jeangus Heimat Suriname gesprochen wird, wieder einmal eine neue Sprache beim ESC zu hören, zumal eine, von deren Existenz ich vorher nichts wusste. Für eine Spitzenplatzierung ist der Melodieaufbau vielleicht etwas zu komplex und zu wenig eingängig, aber ich denke, dass das Lied mehr Punkte bekommen wird als viele denken.



Probenfazit: Ich denke, hier zeigen die Niederlande eine runde und gelungene Darbietung, mit der sie einerseits einen erneuten Sieg und andererseits eine Blamage verhindern.

Deutschland: Jendrik "I don't feel hate"

Ich bin hin- und hergerissen. Ich freue mich, dass aus Deutschland in diesem Jahr keine weichgespülte Allerweltsnummer kommt, und ich finde, dass Jendrik, der auch Ko-Autor des Liedes ist, eine sehr sympathische Ausstrahlung hat. Dass die Kombination aus einem gesellschaftskritischen Thema und Comedy funktioniert, haben wir beim österreichischen Lied 2003 gesehen, als Alf Poier überraschend auf Platz 6 kam. Jetzt kommt mein 'aber': Ich fürchte, dass Jendrik zu sehr in Richtung Klamauk abrutscht, und dass der Beitrag eher wie Begleitmusik zum Kindergeburtstag wahrgenommen werden könnte, wodurch die (wichtige!) Botschaft in den Hintergrund rücken könnte. Die Art des Auftritts wird bei diesem Lied entscheidender sein als bei allen anderen. Eine Einschätzung wage ich daher erst, wenn nähere Einzelheiten bekannt sind. Übrigens habe ich das Lied noch kein einziges Mal im Radio gehört.



Probenfazit: Ich bin positiv überrascht, der Auftritt wirkt fröhlich, aber nicht albern, und Jendrik versprüht gute Laune wie kaum ein anderer seiner Mitbewerber. Auch hier gilt, was ich für die Niederlands sagte: Keine Spitzenplatzierung, aber auch weit entfernt vom Tabellenkeller. Allerdings: Höre nur ich ein paar stimmliche Probleme? Unabhängig vom Abschneiden wünsche ich Jendrik von Herzen alles Gute, mir gefällt seine offene und ungekünstelte Art sehr.

Frankreich: Barbara Pravi "Voilà"

Barbara präsentiert ein klassisches Chanson und knüpft damit nahtlos an die Tradition an, die viele Legenden vor ihr aufgebaut haben - mich erinnert das Lied beispielsweise an "Padam, padam" von Édith Piaf. Ich hoffe, dass die Juroren und die Zuschauer die Klasse und die Qualität sowohl vom Lied als auch von der Sängerin sehen und diesem Lied viele Punkte geben. Besonders gut gefällt mir die Tempobeschleunigung zum Schluss, wodurch ein weiterer Spannungsbogen kreiert wird. Ein rundum gelungener Beitrag.



Probenfazit: Ich habe mir Vergleiche mit historischen Vorbildern und Superlative verboten, daher nur: Alles richtig gemacht, liebe Franzosen. Besonders gefällt mir die eher zurückgenommene Präsentation, die den Fokus auf die Sängerin und das Lied lenkt, aber trotzdem nicht langweilig wirkt.

Italien: Måneskin "Zitti e buoni"

Vor 50 Jahren hätte man die Kombination aus Kleidung und Rockmusik, die Måneskin (das Wort kommt übrigens aus dem Dänischen und bedeutet 'Mondschein') hier präsentieren, wohl als 'Glamrock' bezeichnet, und die italienische Sprache wirkt hier sehr charmant und fällt aus der Reihe - 'zitti e buoni', also leise und brav kommt das Lied ganz und gar nicht daher, und das ist auch gut so, es setzt Akzente und bleibt in Erinnerung. Italien schafft es immer wieder, mit außergewöhnlichen Beiträgen aufzufallen.



Probenfazit: Italien hat sich in den letzten Tagen zu einem der Mitfavoriten entwickelt, was ich als durchaus realistisch empfinde. Måneskin nutzen die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel perfekt aus. Sicher ist der Auftritt nicht jedermanns Geschmack, aber ich denke, den Geschmack derer, die diese Art von Musik mögen, treffen die Italiener dafür um so mehr, die Inszenierung ist sehr gut.

Spanien: Blas Cantó "Voy a quedarme"

Ich kenne Blas seit der Zeit, als er noch Mitglied der Gruppe Auryn war, und verfolge seine Karriere seitdem. Ich mag seine Stimme, und auch die gefühlvolle Art, wie er dieses Lied vorträgt, gefällt mir. Allerdings fürchte ich, dass das Lied in der Konkurrenz zu blass wirken könnte und deshalb untergeht. Mein Optimismus hält sich daher trotz aller Sympathie in Grenzen.



Probenfazit: Du musst tapfer sein, lieber Blas, aber das wird nichts. Wenn es dich tröstet: Ich werde deine Karriere weiterhin und durchaus wohlwollend verfolgen.

Vereinigtes Königreich: James Newman "Embers"

Eine eingängige Nummer, die sofort in die Beine geht, perfekt vorgetragen - eigentlich ein perfektes ESC-Lied, das sehr gut abschneiden kann. Eigentlich - denn irgendetwas stört mich, und ich kann gar nicht genau sagen, was. Ich würde mich sehr freuen, wenn das Vereinigte Königreich wieder einmal gut beim ESC abschneidet, und selten waren in den letzten 20 Jahren die Chancen besser, wenn da nicht - ja, was eigentlich?



Probenfazit: Ich bleibe ratlos. Ich würde James eine gute Platzierung gönnen, ich mag das Lied wirklich und es gehört zu den Gute-Laune-Beiträgen in diesem Jahr, denen ich eigentlich eine gute Chance voraussage. Aber ohne einen konkreten Grund sagen zu können, fürchte ich, dass das Vereinigte Königreich wieder einmal einen der letzten Plätze belegt.

Damit sind die Einzelproben beendet, es folgen die beiden Halbfinalrunden und das Finale, jede dieser Shows hat drei Komplettproben, von denen jeweils die zweite die Ausgabe ist, bei der die Jurys ihre Punkte vergeben. Glücklicherweise konnten alle Delegationen mit Ausnahme der australischen live vor Ort auftreten, hoffentlich bleibt es so bis zum großen Abend. Hierzu eine gute Nachricht: Auch Kateryna aus der Ukraine ist wieder genesen.

Das Finale wird am Samstag, 22.5.21, um 21.00 Uhr im Ersten (ARD) und wie immer im Internet übertragen. Que le meilleur gagne - möge der Beste gewinnen.

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