Mittwoch, 28. August 2019
ESC 2020 - ESC 1970
Jetzt wissen wir es also: Der Eurovision Song Contest 2020 findet erstmals in Rotterdam statt, und zwar am 12., 14. und 16. Mai. Die Niederlande sind zum fünften Mal Ausrichter des Wettbewerbs, zuvor wurde er in Hilversum, Amsterdam und zweimal in Den Haag ausgetragen. Ich möchte, um die Zeit bis zu den Vorentscheidungen und zum eigentlichen Contest zu überbrücken, gern 50 Jahre zurückblicken, also auf das Jahr 1970. Damals war Amsterdam Gastgeber des internationalen Wettbewerbs, die deutsche Vorentscheidung fand in Frankfurt am Main statt.

Das Ergebnis des Vorjahres, bei dem es vier gleichberechtigte Siegertitel gab, verursachte in vielen Ländern Ratlosigkeit und Verärgerung, mehr dazu später. In Deutschland witterte man hingegen Morgenluft, die letzten zwei Beiträge waren, anders als ihre Vorgänger seit 1964, kommerziell erfolgreich, und durch den Auftritt bekannter Stars wie Cliff Richard oder Lulu wurde der Wettbewerb auch für das junge Publikum attraktiv; der seinerzeit federführende Hessische Rundfunk beschloss, diese beiden Aspekte zu kombinieren und eine Vorentscheidung auszurichten, an der junge Künstler, die am Beginn ihrer Karriere standen, teilnahmen. Aus diesem Grund wurde die Bewerbung von Manuela abgelehnt, denn diese war eine der populärsten deutschsprachigen Künstlerinnen der 1960er und damals kommerziell sehr erfolgreich.

Lieder von sechs Autorenteams wurden ausgewählt, die ihrerseits gebeten wurden, Künstler vorzuschlagen. Katja Ebstein hatte einige Achtungserfolge, war einem großen Publikum aber noch eher unbekannt. Kirsti Sparboe hatte ihre Heimat Norwegen bereits dreimal beim ESC vertreten, aber jeweils einen der letzten Plätze belegt. In Deutschland hatte sie mit „Ein Student aus Uppsala“ Erfolg. Reiner Schöne war 1968 aus der DDR geflohen und hatte sich u.a. als Musicalsänger einen Namen gemacht.

Bei drei weiteren Interpreten mussten die Verantwortlichen allerdings umdisponieren: Edina Pop sagte krankheitsbedingt ab, für sie sprang Mary Roos, die bis dahin noch keine nennenswerten Erfolge gehabt hatte, ein. Joachim Laufer sagte der Text des ihm zugedachten Liedes nicht zu, er wurde durch Roberto Blanco ersetzt. Dieser hatte 1969 die Deutschen Schlagerfestspiele mit „Heute so, morgen so“ gewonnen. Und der Niederländer David Alexandre Winter sagte ab, weil er als Vertreter Luxemburgs direkt für den Wettbewerb nominiert wurde. Für ihn rückte Peter Beil nach; dieser war kein Neuling, er hatte schon seit mehreren Jahren Schallplatten veröffentlicht, allerdings war ihm der große Durchbruch nicht gelungen.

Die Vorentscheidungssendung wurde bewusst modern und farbenfroh gehalten, ein britisches Ballett sorgte für entsprechende Untermalung, und Moderatorin war Marie-Louise Steinbauer, die auch als Model arbeitete und insbesondere den norddeutschen Zuschauern als Gastgeberin der „Aktuellen Schaubude“ bekannt war.

Eine Jury wählte aus den sechs Liedern zunächst drei aus, die noch einmal präsentiert wurden, und aus denen dann der Gesamtsieger ermittelt wurde. Hier konnte sich Katja Ebstein eindeutig durchsetzen, ihre beiden Mitbewerber Mary Roos und Reiner Schöne blieben in der Finalrunde punktlos.







Der Siegertitel „Wunder gibt es immer wieder“ wurde vom Publikum gut angenommen, womit der Hessische Rundfunk sein Ziel bereits erreicht hatte.

Über dem internationalen Wettbewerb hingen allerdings mehrere graue Wolken, wie bereits erwähnt, gab es in mehreren Ländern Unzufriedenheit mit dem Vorjahresergebnis. Einige vorwiegend nordeuropäische Delegationen forderten, das Punktesystem zu reformieren; als dies nicht geschah, boykottierten sie den ESC. Diesem Protest aus Norwegen, Schweden und Finnland schlossen sich auch Portugal und Österreich an, sodass nur 12 Teilnehmer übrig blieben – weniger als in den gesamten 1960ern. Dass der ESC 1970 trotzdem ein Erfolg wurde, lag auch an den teilnehmenden Interpreten.

Der Sieg ging erstmals nach Irland, die junge Sängerin Dana wirkte mit ihrem schlichten, aber eingängigen Liebeslied „All kinds of everything“ und auf einem Barhocker sitzend fast schüchtern und eroberte so die Jurys, aber auch das Publikum, das Lied wurde in mehreren Ländern ein Hit. Dana hatte in den Folgejahren noch Erfolge in mehreren Sprachen wie „Fairytale“ oder „Spiel nicht mit mir und meinem Glück“, später machte sie als erzkonservative Parlamentsabgeordnete von sich reden.



Zum Zeitpunkt des ESC war Mary Hopkin bereits sehr bekannt, ihr Erfolgslied „Those were the days“ führte 1968 in vielen Ländern die Verkaufslisten an. Mit „Knock, knock, who‘s there?“ belegte sie Platz 2.



Auf Rang 3 kam Katja Ebstein, es war das bis dahin beste deutsche ESC-Ergebnis. Katja Ebstein wurde eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Künstlerinnen der 1970er und frühen 1980er Jahre. Und auf Platz 4 war Julio Iglesias zu hören, der seine Heimat Spanien vertrat, wo er bereits als Fußballspieler populär war. Seinen internationalen Durchbruch hatte er allerdings, und das unabhängig vom ESC, erst etwas später; er ist bis heute der weltweit erfolgreichste spanischsprachige Sänger; vielleicht gibt er diesen Titel eines Tages an seinen Sohn Enrique ab, der seit den 1990ern weltweit populär ist.



Auf den weiteren Plätzen gab es einige Kuriositäten: Die Gastgeber, also die Niederlande, wurden von den Hearts of Soul vertreten, einem Trio aus drei Schwestern. Weil die damaligen Spielregeln aber nur Solisten oder Duos zuließen, firmierten sie offiziell als Patricia Maessen und Chorsängerinnen. Aus Monaco kam eine kabarettartige Hommage an Marlene Dietrich, die auch einige deutsche Worte enthielt, und David Alexandre Winter, der verhinderte Teilnehmer der deutschen Vorentscheidung, wurde für Luxemburg Letzter, ohne auch nur einen einzigen Punkt zu bekommen.

A propos verhinderte Teilnehmer: Zwei von ihnen hielten sich mit deutschen Versionen der internationalen Beiträge schadlos: Manuelas Fassung von „All kinds of everything“ hieß „Alles und noch viel mehr“, und Edina Pop sang „Knock, knock, who‘s there?“ als „Komm, komm zu mir“.

Zum Abschluss noch zwei Trivia: Katja Ebstein heiratete den Komponisten ihres Beitrags, Christian Bruhn, 1972, und an der spanischen Vorentscheidung nahm eine Künstlerin teil, die in der Regel nicht mit dem ESC in Verbindung gebracht wird: Donna Hightower hatte 1971 mit „This world today is a mess“ einen Welthit und war US-Amerikanerin, lebte damals aber in Spanien, was ihren Auftritt erklärt. Mit „Soy feliz“ belegte sie aber nur Platz 7 der Vorauswahl.

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