Sonntag, 15. Mai 2022
Nach dem Finale 2022
Ich habe die kompletten Top 5 des ESC 2022 richtig getippt, wenn auch nicht in richtiger Reihenfolge - damit habe ich nicht gerechnet, ich war so unsicher wie selten zuvor.

Die Ukraine hat gewonnen - zunächst mein herzlicher Glückwunsch, bei mir bleibt allerdings aus den Gründen, die ich schon in einem früheren Eintrag dargelegt habe, ein bitterer Beigeschmack. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Land den Wettbewerb im nächsten Jahr ausrichten wird, zum einen aus Kosten-, zum anderen aus Sicherheitsgründen. Außerdem werden viele Leute (zu denen ich auch gehöre) immer denken, dass der Sieg nicht aufgrund des Liedes, sondern als Zeichen der Solidarität geschah. Um diese zu bezeugen, gibt es andere und wesentlich effektivere Möglichkeiten; insgesamt glaube ich, dass mit diesem Ergebnis niemandem geholfen ist.

Bei der an den Contest anschließenden Pressekonferenz wurden übrigens ähnliche Bedenken geäußert, aber mit eher nichtssagenden Phrasen beantwortet. Die Band wiederholte die Absicht, den ESC 2023 in der Ukraine auszurichten, ich würde nicht darauf wetten.

Sei es wie es sei, nachdem im vergangenen Jahr Italien und Frankreich die beiden ersten Plätze belegten, haben in diesem Jahr zwei weitere der Big 5 gut abgeschnitten: das Vereinigte Königreich belegte Rang 2, das beste Ergebnis seit 1998, und Spanien Rang 3, besser war es zuletzt 1995.

Deutschland belegte - wie fast immer in den letzten Jahren - einen der letzten Plätze, diesmal sogar den allerletzten. Hierbei wurde sicher auch die Startnummer unmittelbar hinter der Ukraine zum Verhängnis, aber ich habe schon vorher angemerkt, dass das Lied für den Wettbewerb einfach nicht geeignet war. Ich hoffe sehr, dass Malik trotzdem seinen Weg gehen wird, er zeigte in den letzten Wochen viel Talent und eine sehr positive Ausstrahlung.

In meine persönliche Playlist habe ich schon vor Wochen die Beiträge aus Italien (Platz 6) und aus Frankreich (Platz 24) aufgenommen, ich höre beide oft und weiterhin gern, und ich werde jetzt das Lied aus dem Vereinigten Königreich hinzufügen.

Ich bin gespannt, wie die Entwicklung in den nächsten Wochen und Monaten aussieht (es gibt aktuell Diskussionen um eventuell politische Äußerungen eines Mitglieds der ukrainischen Band, zudem wurden wegen Auffälligkeiten drei Jurys disqualifiziert); ich werde mich wie gewohnt zu gegebener Zeit äußern.

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Freitag, 13. Mai 2022
Tipp fürs Finale 2022
Es ist soweit, ich muss mich entscheiden - und ich bin nach wie vor ratlos. Die Ukraine wird als großer Favorit gehandelt, aber ich habe schon in einem früheren Beitrag geschrieben, dass ich bezweifle, dass man dem Land mit einem Sieg einen Gefallen täte, zumal die Band bei einem Interview bereits die Bereitschaft signalisiert hat, den Wettbewerb in diesem Fall auch tatsächlich auszurichten. Möchten wir wirklich einer vom Krieg gebeutelten Nation auch noch die Kosten für eine Unterhaltungsshow aufbürden? Wäre die Sicherheit für die Delegationen, Journalisten und Gäste für einen angemessenen Preis zu gewährleisten? Ich habe meine Zweifel.

Von den ebenfalls hoch gehandelten Mitbewerbern treten relativ viele früh an, was normalerweise eine eher schlechte Ausgangssituation ist - aber was ist in diesem Jahr schon normal? Und einige der Lieder, die ich im Vorfeld zu den Favoriten gezählt habe, zeigten eher mäßige Auftritte - und auch die Qualität der Präsentation kann Punkte kosten, wie in den Halbfinalrunden die Damen aus Österreich, Malta und Zypern erfahren mussten.

Nein, ich habe mich entschlossen, die Ukraine nicht auf Platz 1 zu setzen. Dort landet bei mir stattdessen Sam Ryder aus dem Vereinigten Königreich, der erstens den günstigen Startplatz 22 hat und mich bei seinen bisherigen Auftritten zudem zweitens durch Professionalität, seine außergewöhnliche Stimme und seine sympathische Ausstrahlung überzeugt hat. Für eine (positive) Überraschung könnte auch Konstrakta aus Serbien sorgen, deren verkopft wirkendes permanentes Händewaschen viele positive Reaktionen gezeigt hat. Die Italiener, im Vorfeld meine Favoriten, zeigen, was ich bisher gesehen habe, nicht den Siegeswillen und den Enthusiasmus, der ihnen den Sieg beim Sanremofestival gebracht hat, und auch den Franzosen und den Norwegern könnte die relativ frühe Startnummer zum Verhängnis werden. Fällt die fröhliche Nummer aus Moldau zwischen den eher ruhigen Liedern aus Island und Schweden genügend auf, um viele Punkte zu sammeln? Oder gibt es sogar einen Sieger (oder zumindest Spitzenplatz), den ich gar nicht auf der Rechnung habe?

Augen zu und durch - mit großer Unsicherheit tippe ich auf folgende Top 5:

1. Vereinigtes Königreich
2. Ukraine
3. Serbien
4. Spanien
5. Schweden

Vermutlich liege ich so weit daneben wie schon lange nicht mehr.

Deutschland bekam die scheinbar gute Startnummer 13, das ist die letztmögliche Position derjenigen Teilnehmer, die die erste Starthälfte gezogen haben. Allerdings tritt unmittelbar davor die Ukraine auf, und ich fürchte, dass sich der gesamte Kontinent auch nach Ende der Darbietung noch über dieses Lied unterhalten wird, sodass Malik aus Deutschland wenig Beachtung geschenkt wird. Zudem sehe ich sowieso kaum Beiträge, die eine schlechtere Bewertung bekommen könnten - vielleicht die Schweiz. Ich prognostiziere für "Rockstars" deshalb Platz 24, so leid es mir für Malik, der eine wirklich gute Figur abgibt, tut.

Kurz nach dem Finale erkläre ich dann, warum meine Einschätzung völlig falsch war.

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Freitag, 13. Mai 2022
Nach dem zweiten Halbfinale 2022
8/10 - ich habe im zweiten Halbfinale etwas schlechter getippt als im ersten. Ich habe, wie auch öfter in den Vorjahren, den Eindruck, dass stimmliche Unzulänglichkeiten gnadenlos bestraft werden, wie im ersten Durchgang schon bei den Österreichern - diesmal sangen die Malteserin (die ich sowieso nicht auf der Rechnung hatte) und die Zyprerin (oder heißt es Zypriotin? Die Dame aus Zypern jedenfalls) ziemlich daneben, und die von mir nicht getippten Herren aus Aserbaidschan und Australien waren sehr stimmsicher, sodass sie sich qualifizieren konnten. Michael aus Israel disqualifizierte sich selbst spätestens, als er zu Beginn der Stimmabgabe den Selbstdarsteller heraushängen ließ, was außer ihm vermutlich niemand lustig fand.

Ich warte noch auf eine Erklärung, warum das Trio Il Volo als Pausenact nur zu zweit auftrat - ihre neu abgemischte zweisprachige Version von "Grande Amore" gefiel mir deutlich weniger als das Original.

Sobald die Startreihenfolge im Finale feststeht, werde ich meinen Tipp für das Finale abgeben - und ich bin, nachdem ich alle Halbfinalisten und ausschnittsweise auch alle gesetzten Finalisten gesehen habe, ratloser denn je. Aber mehr dazu zu gegebener Zeit.

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Mittwoch, 11. Mai 2022
Nach dem ersten Halbfinale 2022
9/10 - ich bin mit meinem Tippergebnis zufrieden. Die Qualifikation der Schweiz ist für mich eine große Überraschung, ich finde das Lied nach wie vor eher langweilig, und die Darbietung trug zu diesem Eindruck ebenfalls bei. Schade, dass Ronela aus Albanien beim Finale nicht mitmachen darf, aber ich denke, sie hatte auch so viel Spaß - ich habe ihre teils irrwitzige Kleidung beim türkisen Teppich und bei anderen Veranstaltungen gesehen, sie erinnerte mich ein wenig an Senhit im vergangenen Jahr.

Ich war beim portugiesischen Auftritt ein wenig irritiert, Maro wirkte linkischer als Salvador Sobral und bewegte sich unbeholfen wie Corinna May, irgendetwas schien sie zu stören. Sie hat die Qualifikation geschafft, sollte es tatsächlich ein Problem gegeben haben, hoffe ich, dass es bis zum Finale behoben ist.

Das an sich gute österreichische Lied wurde - leider wie erwartet - zu Tode aufgeführt. Nach mehreren gescheiterten Versuchen sollten sich alle Länder merken, dass ein DJ, der albern und wahllos an irgendwelchen Knöpfen hantiert und so agiert, als müsse er Urlaubsgäste am Ballermann animieren, freundlich gesagt überflüssig ist, und dass eine Sängerin beim ESC zumindest ein Talent haben sollte: Sie sollte singen können.

Ein dickes Lob an die Moderatoren, insbesondere an Mika, der den Abend auch problemlos allein leiten könnte, und an Diodato für seinen bewegenden Auftritt. Hätte der ESC 2020 stattgefunden, Italien hätte auch damals einen der vorderen Plätze belegt.

Im zweiten Halbfinale geht es weiter, und mittlerweile bin ich ratloser als je zuvor, wer den Gesamtwettbewerb gewinnen könnte - aber dazu demnächst mehr. Bis dann!

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Freitag, 6. Mai 2022
Zweites Halbfinale 2022
1. Finnland
The Rasmus "Jezebel"

The Rasmus hatten 2003 mit "In the shadow" einen internationalen Hit, danach wurde es außerhalb Finnlands ruhiger um sie. Jetzt melden sie sich in ähnlichem Stil zurück, eingängiger Rock, wie er schon vor Jahrzehnten gehört wurde - ich denke, diese Musik ist zeitlos und wird nach wie vor ihre Anhänger haben. Und vielleicht ist die Fangemeinde der Gruppe auch nach fast zwei Jahrzehnten noch groß genug. Wissen diese womöglich auch, ob der Regenmantel eine tiefere Bewandtnis hat?



2. Israel
Michael Ben David "I.M"

Michael präsentiert eine perfekte Choreographie und einen selbstbewussten Text. Auf mich wirkt der Beitrag etwas zu glatt, aber vermutlich ist genau das die Absicht. Ich möchte etwas später im Zusammenhang mit dem rumänischen Beitrag einen Vergleich anstellen.



3. Serbien
Konstrakta "In corpore sano"

Serbien bringt in diesem Jahr einen der ungewöhnlichsten Beiträge. Repetitive, oft eher gesprochene, musikalische Stücke werden optisch entsprechend untermalt, und der Text erweckt, obwohl er auf Serbisch gehalten ist, Neugier - was soll der lateinische Titel? Und was hat Meghan Markle damit zu tun? Dieser Beitrag fällt aus der Reihe, und das ist beim ESC schon mal ein Vorteil.



4. Aserbaidschan
Nadir Rustamli "Fade to black"

Wieder einmal hören wir eine vollkommen durchschnittliche Ballade, gesungen von einem durchaus talentierten Sänger, die allerdings nicht im Ohr bleibt. Zudem wirkt die gesamte Darbietung auf mich, trotz der Choreographie, zu gewöhnlich, auch, was das Bühnenkostüm angeht. Ich glaube nicht, dass sich dieses Lied von der Konkurrenz absetzen kann.



5. Georgien
Circus Mircus "Lock me in"

Da ist es - mein 'Guilty Pleasure' in diesem Jahr, Georgien kümmert sich nicht um den Geschmack der anderen Länder, sondern zieht sein Ding durch, in diesem Jahr auch unter größtmöglicher Geheimhaltung der Identität der Protagonisten - hierfür meinen größten Respekt. Allerdings bezweifle ich, dass der Beitrag sonderlich viele Anhänger finden wird. Das Bühnenbild kann man negativ als wirr oder positiv als besonders bezeichnen; in jedem Fall polarisiert dieser Beitrag, und das ist schon mal nicht das Schlechteste.



6. Malta
Emma Muscat "I am what I am"

Malta führte eine Vorentscheidung durch, aber der gewählte Beitrag kam bei den Buchmachern nicht gut an, und so entschied sich Emma, ihn gegen ein anderes Lied auszutauschen - das wiederum wenig Resonanz hervorrief. Wäre ich schadenfroh, aber das bin ich nicht, daher auch hier die Feststellung, dass es sich um ein 'Stört-nicht-beim-Bügeln-Lied' handelt, das ebenso schnell vergessen ist, wie es gehört wurde. Da helfen auch die Animationsrufe, die in diesem Jahr erstaunlich oft zu hören sind, nichts.



7. San Marino
Achille Lauro "Stripper"

Achille hat schon mehrfach am Sanremo-Festival teilgenommen, so auch in diesem Jahr, allerdings ohne durchschlagenden Erfolg. Den hatte er beim kleinen Nachbarn San Marino, und ein ganzes Heer von Autoren, dessen Anzahl nicht wesentlich unter der Einwohnerschaft des Landes liegt, schrieb ihm ein italienisches Lied mit willkürlich eingesprenkelten englischen Vokabeln, bei denen sich 'Cowboy' auf 'Sex toy' reimt. Kann man machen, muss man aber nicht.



8. Australien
Sheldon Riley "Not the same"

Ist das Kunst? Wenn ja, ist sie mir zu hoch. Sheldon ist ein Stimmakrobat, auf mich wirkt diese allerdings eher wir die Sturzgeburt bei einem Koala. Das Lied wurde offenbar darauf zugeschnitten. Und was bitte soll das Geschmeide vor dem Gesicht (im Videoausschnitt hält er es in der Hand)? Vermutlich bin ich ein Banause, aber mich erreicht das Lied überhaupt nicht.



9. Zypern
Andromache "Ela"

Immerhin präsentiert Zypern nicht einen erneuten Aufguss von "Fuego", dafür gibt es weichgespülte griechische Klänge. Bei einem Glas Retsina am Mittelmeerstrand würden sie mir vermutlich gefallen, beim ESC wirken sie auf mich allerdings zu farblos und zu austauschbar.



10. Irland
Brooke "That's rich"

Kompletter Durchschnitt, was Komposition, Text, Darbietung und Sängerin angeht - mehr möchte ich gar nicht sagen.



11. Nordmazedonien
Andrea "Circles"

Andrea stimmt einen leicht klagenden Ton an, fast scheint sie zu flehen, offenbarhofft sie auf Mitgefühl. Allerdings wiederholt sie ihre Strophen immer wieder, sodass sich ein gewisser Ermüdungseffekt breitmacht. Zudem ist die Darbietung auch optisch nicht sonderlich abwechslungsreich.



12. Estland
Stefan "Hope"

Wenn ich die Augen schließe, befinde ich mich in einem Kino der 1980er Jahre, und vor dem Hauptfilm läuft eine epische Werbung für ein Tabakprodukt. Und obwohl ich seit Jahrzehnten Nichtraucher bin, überkommt mich das Verlangen nach einer Marlboro. Wenn ich hinsehe, bin ich allerdings im Hier und Jetzt, Stefan schafft es, dem Lied einen zeitgemäßen Anstrich zu geben. Nur der Hintergrund erinnert noch an meine Fantasien. Ein gelungener Auftritt.



13. Rumänien
WRS "Llámame"

Llámame - so hieß der spanische Beitrag 1962, und er bekam keinen einzigen Punkt. WRS (sprich: Urs) möchte 60 Jahre später natürlich mehr erreichen. Der flamboyant wirkende Sänger macht sich Gedanken, was passiert, wenn seine Umwelt 'es' erfährt, und singt daher lieber in genuscheltem Englisch. Um ganz sicher zu gehen, bittet er im Refrain sein Bebébé sogar auf Spanisch, sich bei ihm zu melden. Ist bei so viel Verfolgungswahn der ESC wirklich der geeignete Platz? Ich habe schon beim israelischen Beitrag gesagt, dass ich gewisse Parallelen sehe, auch hier gibt es eine ausgefeilte Choreographie. Anders als Michael wirkt WRS allerdings nahbarer, was ihm im Zweifelsfall mehr Sympathiepunkte bringen könnte.



14. Polen
Ochman "Rivers"

Ein wirklich starker polnischer Beitrag; Ochmans gute Stimme wirkt hier nicht eingesetzt wie ein Instrument, sondern passt sich symbiotisch der guten Komposition und dem guten Text an. Damit hebt sich das Lied von den Balladen mit männlichen Interpreten positiv ab.



15. Montenegro
Vladana "Breathe"

Wieder ein eher langweiliger Beitrag, bei dem Vladanas angenehme Stimme nicht genügend auffällt, um sich hervorzuheben.



16. Belgien
Jérémie Makiese "Miss you"

Mit dieser souligen Nummer hat Belgien in diesem Jahr ein Alleinstellungsmerkmal, und Jérémie erweist sich als guter Interpret dafür. Ich denke, er wird genügend Freunde finden, sie sich für das Lied erwärmen und für ihn anrufen.



17. Schweden
Cornelia Jakobs "Hold me closer"

Ich habe meine Schwierigkeiten mit der textlichen Aussage des Liedes - verstehe ich es richtig, Cornelia wird von ihrem Partner verlassen, bettelt aber um eine letzte gemeinsame Nacht? Tritt ihm in die Eier und lass ihn ziehen, Mädel! Wie in jedem Jahr hat der schwedische Beitrag viele Anhänger, und diese dürften dafür sorgen, dass das Finale sicher ist.



18. Tschechien
We are Domi "Lights off"

Vielleicht bin ich mit meinen 57 Jahren zu alt, um beurteilen zu können, was zeitgemäß ist, aber sollte ich gefragt werden, würde ich genau dieses Lied nennen. Mir gefallen Darbietung, Komposition und Rhythmus, und ich denke, dass dieser Beitrag perfekt als Abschluss des zweiten Halbfinals ist.



Wieder tippe ich, welche zehn Beiträge das Finale schaffen, wieder in Startreihenfolge:

Finnland
Israel
Serbien
Zypern
Estland
Rumänien
Polen
Belgien
Schweden
Tschechien

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Donnerstag, 5. Mai 2022
Erstes Halbfinale 2022
Die Teams haben ihre zweite Probe absolviert, und ich möchte wieder einmal meine Einschätzungen abgeben. Die Bilder und Videos, die nach außen (also auch zu mir) dringen, sind in diesem Jahr allerdings besonders spärlich und gelegentlich wegen ungünstiger Ausschnitte auch nicht sonderlich aussagekräftig. Zudem gibt es größere technische Probleme bei der Bühnendekoration und wohl auch bei der Akustik, und ein Corona-Fall bei der portugiesischen Delegation bringt den Zeitplan durcheinander. Aber wer sich an den ESC 1991 in Rom erinnert, weiß, dass die Italiener auch das größte Chaos irgendwie bewältigen, wenngleich es an den Nerven Angehöriger anderer Nationalitäten zehren mag.

1. Albanien
Ronela Hajati "Sekret"

Albanien liefert in diesem Jahr genau das, was ich aus diesem Land erwarte: Eine stimmgewaltige Sängerin, falsch betontes Englisch sowie rhythmische und ethnische Elemente. Hinzu kommen glücklicherweise genügend landessprachliche Teile, und das Ganze ist stimmig produziert, sodass ich für den Finaleinzug keine Probleme sehe. Dort dürfte es allerdings nicht allzu weit nach oben gehen. Und vielleicht gibt es ja auch einige Zuschauer, die gern eine Walküre mit ihren Haremswächtern sehen möchten.



2. Lettland
Citi Zēni "Eat your salad"

Hier bin ich ratlos, sowohl was die textliche Aussage als auch was die musikalische Umsetzung angeht. Gehören die Letten zu den militanten Veganern, die ihrer gesamten Umwelt ungefragt ihre Ideologie aufdrängen wollen, oder ist das ironisch gemeint, und ich verstehe es nicht? In beiden Fällen habe ich ein eher negatives Gefühl, und wenn es auch den Juroren und den Zuschauern so geht, sehen wir dieses Lied im Finale nicht noch einmal.



3. Litauen
Monika Liu "Sentimentai"

Ein Lied im Retro-Stil, optisch optimal umgesetzt, dazu in Landessprache - viele Punkte, die mich zunächst positiv stimmen. Ich habe Erinnerungen an Cocktail-Partys in den 1970ern. Allerdings passiert meiner Meinung nach, soweit ich das nach diesem Ausschnitt beurteilen kann, auf der Bühne zu wenig, und die an sich gelungene Melodie wirkt ohne weiteren Höhepunkt bald langweilig, sodass sich nach der Hälfte des Liedes schon so etwas wie Langeweile einstellen kann. Ein Weiterkommen ist zumindest kein Selbstgänger.



4. Schweiz
Marius Bear "Boys do cry"

Wie im Vorjahr setzt die Schweiz auf einen männlichen Solisten und eine Ballade. Doch während Gjon schon allein mit seiner Stimme überzeugen konnte und einen guten dritten Platz holte, wirkt Marius eher farblos, und ich denke, er wird es schwer haben, das Finale zu erreichen.



5. Slowenien
LPS "Disko"

Hier spielt sich vor meinem inneren Auge ein Film ab. Bei einem Abi-Abschlussball in Ljubljana, 1980er Jahre, spielt eine Schülerband, dem Anlass entsprechend festlich gekleidet, Musik im Stil von Style Council oder den Blow Monkeys. LPS (das steht für Last Pizza Slice) waren damals noch nicht auf der Welt, sie sind heute im Abiturienten-Alter, aber sie treffen zumindest den damaligen Musikgeschmack. Insgesamt sehr stimmig, aber vielleicht zu altmodisch und auch etwas zu langweilig, ich kann mich nicht genau entscheiden, wie ich die Chancen einordnen kann. Zudem finde ich die große Discokugel in der Bühnenmitte suboptimal, da sich die Bandmitglieder so gegenseitig nicht sehen können.



6. Ukraine
Kalush Orchestra "Stefania"

Wie im Vorjahr schafft es der ukrainische Beitrag, traditionelle Musik mit aktuellen Rhythmen zu verbinden, zusammen mit dem Rap-Teil ergibt sich eine perfekte Symbiose. Eine Qualifikation für das Finale dürfte nur eine Formsache sein, zumal das Lied in einigen Wettquoten sogar als Favorit gilt.



7. Bulgarien

Rock ohne weitere Anreize (sei es musikalisch oder optisch, Pyrotechnik ist ziemlich ausgelutscht) hatte es beim ESC immer schwer, und das dürfte auch für diesem Beitrag gelten. Ihm fehlt einfach das Zielpublikum, und dem Lied der besondere Kick, um dieses zum Einschalten (und Abstimmen) zu bewegen. Einen Finaleinzug halte ich für ausgeschlossen.



8. Niederlande
S10 "De diepte"

Ein schöner Beitrag, von S10 (sprich: Stien) gut gesungen und arrangiert, der seine Schönheit bei mir allerdings erst beim zweiten oder dritten Hören entfacht hat. Ich hoffe, bei anderen Zuhörern geschieht das schneller. Und auch wenn viele Menschen die niederländische Sprache nicht verstehen, könnte die Botschaft auch so funktionieren.



9. Moldau
Zdob şi Zdub & Fraţii Advahov "Trenulețul"

Zdob şi Zdub nehmen nach 2005 und 2011 bereits zum dritten Mal am ESC teil, und wieder versuchen sie, mit Ska und Turbo-Folk gute Laune zu verbreiten. Ich frage mich, ob nicht die Idee und auch die Musiker mittlerweile ein wenig in die Jahre gekommen sind, ein musikalischer Farbtupfer ist der Beitrag allemal.



10. Portugal
Maro "Saudade, saudade"

Saudade - das ist ein Wort, das nur auf Portugiesisch existiert und dort fast so etwas wie ein Lebensgefühl ist - ungefähr kann man es mit Sehnsucht, Heimweh oder Weltschmerz übersetzen. Maro und ihre Begleiterinnen vermitteln diese Stimmung sehr schön, und nach den fast überdreht klingenden Moldauern wirkt das Lied sehr beruhigend. Würde ich etwas Negatives suchen, würde ich den Vortrag vielleicht als langweilig und zu wenig ereignisreich bezeichnen, insgesamt überwiegt aber der Eindruck, dass es sich um ein stimmiges Gesamtes handelt.



11. Kroatien
Mia Dim?ić "Guilty pleasure"

Sorry, mein guilty pleasure kommt in diesem Jahr aus einem anderen Land - aus welchem, verrate ich an einer anderen Stelle. Kroatien bringt Radiopop ohne große Besonderheiten, das Lied ist nett - und 'nett' ist beim ESC schon fast ein Todesurteil.



12. Dänemark
Reddi "The show"

Ich stelle mir vor, dass jemand über rohen Kuchenteig Tomatenmark gibt - schade, aus beiden Komponenten hätte man getrennt voneinander brauchbare Ergebnisse fabrizieren können, so ergibt sich ein ungenießbares Gemisch. Die Däninnen versuchen es zuerst mit einer eher weichgespülten Melodie, um dann in Rockrhythmen zu wechseln - nicht Fisch, nicht Fleisch (so eat your salad!), fürchte ich.



13. Österreich
Lum!x feat. Pia Maria "Halo"

Schließe ich die Augen, dann denke ich an die 1990er Jahre, in denen ich zu 2Unlimited getanzt habe. Beim Hinsehen fällt mir ein DJ auf, der scheinbar wichtig an seinen Drehknöpfen hantiert, obwohl jeder weiß, dass sein Mischpult nicht angeschlossen ist, und das Publikum animiert (ist das wirklich nötig?), daneben eine Frau, die aussieht wie eine 18jährige Österreicherin, was wohl daran liegt, dass sie eine 18jährige Österreicherin ist. Ihre Stimme ist - wie drücke ich es nett aus - ausbaufähig. Dieses Lied funktioniert auf der Tanzfläche, bei der Darbietung auf der Bühne habe ich meine Zweifel. Mit Fake-Djs haben in den letzten Jahren u.a. schon die Polen und die Finnen schlechte Erfahrungen gemacht.



14. Island
Systur "Með hækkandi sól"

Die Isländerinnen bedienen eine ähnliche Zielgruppe wie die Portugiesinnen, aber ich finde sie im direkten Vergleich schwächer. Allerdings gilt auch hier, dass das Lied nach dem temporeichen Vorgänger beruhigend wirkt, zudem ist der Chorgesang sehr harmonisch.



15. Griechenland
Amanda Tenfjord "Die together"

Schwierig. Dieses Lied hat viele Anhänger, ich gehöre nicht unbedingt dazu. Mir ist das Lied zu blass und auch ein wenig zu negativ. Aber auch hier gilt, dass der Beitrag gut produziert und vorgetragen ist, sodass er genügend Stimmen sammeln könnte. Zudem wurde er optisch wirklich gut inszeniert. Sterben würde ich dafür allerdings nicht, auch nicht zusammen mit Amanda.



16. Norwegen
Subwoolfer "Give that wolf a banana"

Bevor er deine Oma frisst, gib dem Wolf eine Banane - allein diese Textstelle sorgt bei mir für gute Laune. Dieses Lied hat alles, was ein ESC-Beitrag braucht: Einen eingängigen Rhythmus, einen einfach zu merkenden Refrain, als optische Besonderheit die Kostüme, und nach den beiden eher ruhigen Nummern vorher ist dieser Beitrag wieder einer, der diverse Körperteile zum Schwingen bringt.



17. Armenien
Rosa Linn "Snap"

Vor meinem geistigen Auge sehe ich eine Konfirmandengruppe am Lagerfeuer. Ein Mitglied singt ein erbauliches Lied zur Wandergitarre, und beim Refrain stimmen alle mit ein. Ich weiß nicht, ob beim ESC die richtige Zielgruppe vorhanden ist. Allerdings ist die Melodie sehr eingängig, ich habe mich schon dabei ertappt, dass ich das Lied im Supermarkt vor mich hingesummt habe. Die tatsächliche Umsetzung entspricht meinen Vorstellungen überhaupt nicht, auf mich wirkt sie eher farblos.



Ich denke, dass sich diese zehn Lieder für das Finale qualifizieren (in Startreihenfolge):

Albanien
Litauen
Ukraine
Niederlande
Moldau
Portugal
Island
Griechenland
Norwegen
Armenien

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Sonntag, 3. April 2022
Sieg der Ukraine?
Wie in den vergangenen Jahren werde ich meine Einschätzung zu den einzelnen Wettbewerbstiteln erst nach den Einzelproben beim ESC, also wenige Tage vor den jeweiligen Wettbewerben, veröffentlichen. Momentan startet allerdings eine Diskussion, zu der ich auch einen Kommentar abgeben möchte. Es geht darum, dass die Ukraine schon jetzt einen "moralischen Sieg" errungen habe und schon wegen des Umstands, dass die Interpreten trotz der Umstände in ihrem Land live in Italien auftreten wollen, gewinnen sollten. Erste Wettquoten weisen auch bereits darauf hin, und immer mehr Beobachter und auch Teilnehmer (wie Malik Harris, der für Deutschland antritt) haben sich entsprechend geäußert.

Meine erste Äußerung dazu lässt mich vielleicht als hartherzig oder als Besserwisser erscheinen, aber der ESC bleibt ein Liederwettbewerb, und der Sieg sollte an die beste Komposition gehen, nicht an das Land, das es vermeintlich "am meisten verdient" hat. Aber insbesondere: Mit dem Sieg ist auch die Berechtigung verbunden, den nächsten Wettbewerb auszurichten. Hiervon haben seit 1981 alle Länder Gebrauch gemacht. Möchten wir diese Kosten tatsächlich der stark gebeutelten Ukraine zumuten? Und: Ist es für die Interpreten, Teams und Besucher tatsächlich ein Vergnügen, dort im nächsten Jahr den ESC auszutragen?

Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, die Ausrichtung abzulehnen, aber welches Zeichen würde gesetzt, wenn die Ukraine den ESC 2022 gewinnt, die Veranstaltung 2023 aber z.B. in London, Paris oder Madrid stattfindet?

Nach momentaner Enschätzung gibt es eine Handvoll Lieder, die den ESC 2022 gewinnen können, und auch die Ukraine gehört zum erweiterten Favoritenkreis. Ich hoffe allerdings in ihrem eigenen Interesse, dass sie nicht siegt. Auch Platz 2 (3,4,...) ist ein schöner Erfolg, und dieser wäre dem Land im Endeffekt sicher lieber als der "Grand Prix Eurovision", wie er früher einmal hieß.

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Dienstag, 29. März 2022
Startreihenfolge der Halbfinalrunden 2022
Die Startreihenfolgen für die Halbfinalrunden wurden bekanntgegeben; aus beiden qualifizieren sich jeweils zehn Beiträge für das Finale.



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Dienstag, 22. März 2022
Alle Beiträge 2022
Es ist soweit, Russland wurde vom ESC 2022 suspendiert, und kurz darauf kündigten alle Sender des Landes die Mitgliedschaft bei der EBU. Es verbleiben 40 Teilnehmer am diesjährigen Wettbewerb, und diese haben mittlerweile alle ihre Beiträge ermittelt. Hier sind sie:



Die Startreihenfolge für die Halbfinalrunden wird in wenigen Tagen bekanntgegeben und natürlich auch hier veröffentlicht.

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Dienstag, 25. Januar 2022
Auslosung 2022
Die erste Auslosung der Saison 2022 fand statt, in Turin wurde ermittelt, in welchem Halbfinale und dort in welcher Hälfte die Beiträge antreten. Zudem wurde bestimmt, für welche der beiden Runden die "Big 5", also die Länder, die direkt für das Finale qualifiziert sind, abstimmungsberechtigt sind.

Im ersten Halbfinale treten an:

1. Hälfte:
Albanien
Bulgarien
Lettland
Litauen
Moldau
Niederlande
Schweiz
Slowenien
Ukraine

2. Hälfte:
Armenien
Dänemark
Griechenland
Island
Kroatien
Norwegen
Österreich
Portugal
Russland

Stimmberechtigt sind Frankreich und Italien.

Im zweiten Halbfinale treten an:

1. Hälfte:
Aserbaidschan
Australien
Finnland
Georgien
Israel
Malta
San Marino
Serbien
Zypern

2. Hälfte:
Belgien
Estland
Irland
Montenegro
Nordmazedonien
Polen
Rumänien
Schweden
Tschechien

Stimmberechtigt sind Deutschland, Spanien und das Vereinigte Königreich.

Alle Angaben erfolgen in alphabetischer Reihenfolge.

Die genaue Startreihenfolge wird nach, wie es heißt, dramaturgischen Gesichtspunkten festgelegt, nachdem alle Beiträge bekannt sind.

Die Saison der Vorentscheidungen nimmt langsam Fahrt auf, bisher wurden drei der 41 Beiträge veröffentlicht, der Rest wird bis Mitte März folgen.

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